In diesem Beitrag schauen wir uns an, wie du langatmiges Vorgeplänkel vermeidest, damit du deine Leser vom ersten Satz an fesselst!
Und wir werden natürlich Beispiele machen.
Und am Schluss erkläre ich dir dann auch noch, wo du dir eine praktische Übung herunterladen kannst. Denn, bekanntlich macht ja Übung den Meister.
Der erste Eindruck ist entscheidend.
Das gilt auch beim Bücher schreiben.
Als langatmiges Vorgeplänkel bezeichne ich alles, was den eigentlichen Start der Handlung unnötig verzögert.
Das gilt grundsätzlich für jedes Kapitel und jede Szene, aber am allerwichtigsten ist es im ersten Kapitel deines Buches.
Der Buchanfang verkauft dein aktuelles Buch, das Buchende verkauft dein nächstes Buch.
Dein Anspruch beim Schreiben sollte sein, den Leser mit Tiefe zu fesseln.
Besser ist es, deine Figuren schnell in Situationen zu bringen, die den Leser fesseln.
Das bedeutet nicht, dass du bereits auf der ersten Seite mit extremer Action aufwarten musst. Es ist nicht notwendig, gleich mit einer wilden Verfolgungsjagd oder einem Schusswechsel loszulegen – falls du Action-Thriller schreibst.
Aber starte direkt im Geschehen – "in medias res", wie die Lateiner sagen.
Es sollte definitiv etwas Aufregendes passieren. Etwas, das beim Leser Fragen aufwirft. Fragen, die er beantwortet haben will.
Aber machen wir ein paar Beispiele.
Ich beschränke mich dabei übrigens auf die ersten Sätze des Buches.
"Es" von Stepehen King:
Der Schrecken, der weitere achtundzwanzig Jahre kein Ende nehmen sollte – wenn er überhaupt je ein Ende nahm –, begann, soweit ich weiß und sagen kann, mit einem Boot aus Zeitungspapier, das einen vom Regen überfluteten Rinnstein entlangtrieb.
Dieser erste Satz wirft bei mir folgende Fragen auf:
- Welcher Schrecken?
- Was hat es mit den achtundzwanzig Jahren auf sich?
- Wie wird diese Geschichte erzählt, wenn man schon 28 Jahre in die Zukunft sieht?
- Warum beginnt die Geschichte mit einem Boot aus Zeitungspapier?
Hätte King dieses Buch langatmig angefangen, könnte es so aussehen:
Der Regen prasselte unaufhörlich auf die dreckigen, mit Müll übersäten Straßen der heruntergekommenen Industriestadt Derry. Die meisten Menschen blieben in ihren Häusern. Häuser, die lieblos und ungepflegt wirkten und sich damit nahtlos in die Umgebung einfügten. Die Abwasserkanäle waren hoffnungslos überlastet, sodass sich das Regenwasser mit Öl, Benzin und allerlei Abfällen vermischte und träge durch die von Schlaglöchern übersäten Straßen rann.
In einem dieser Rinnsteine trieb langsam ein Boot aus Zeitungspapier dahin, dessen nasse Seiten sich bereits teilweise aufgelöst hatten.
Nicht völlig unspannend. Aber es wirft bei mir deutlich weniger Fragen auf.
"Harry Potter und der Stein der Weisen" von J.K. Rowling:
Mr und Mrs Dursley im Ligusterweg Nummer 4 waren stolz darauf, ganz und gar normal zu sein, sehr stolz sogar. Niemand wäre auf die Idee gekommen, sie könnten sich in eine merkwürdige und geheimnisvolle Geschichte verstricken, denn mit solchem Unfug wollten sie nichts zu tun haben.
Dieser ersten Sätze wirft bei mir folgende Fragen auf:
- Wer sind Mr und Mrs Dursley?
- Warum sind sie stolz, ganz und gar normal zu sein?
- Was ist denn nicht normal?
- Was für eine merkwürdige und geheimnisvolle Geschichte?
- In was für einer Welt/Realität leben sie, dass es scheinbar vorkommt, in merkwürdige und geheimnisvolle Geschichten verstrickt zu werden?
Hätte Rowling dieses Buch langatmig angefangen, könnte es so aussehen:
Mr und Mrs Dursley lebten in einer typischen Vorstadtstraße namens Ligusterweg Nummer 4. Die Häuser in dieser Straße sahen alle gleich aus mit ihren ordentlich getrimmten Hecken und sauberen Vorgärten. Mr Dursley arbeitete als Verkaufsleiter bei einer Bohrmaschinenfirma und Mrs Dursley war Hausfrau. Ihr größter Stolz war es, ein komplett normales und langweiliges Leben zu führen. Sie hatten Angst vor allem, was auch nur im Entferntesten ungewöhnlich oder aufregend war. Sie konnten sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass sie jemals in eine merkwürdige oder geheimnisvolle Geschichte hineingezogen werden könnten. Solche Abenteuer waren nun wirklich nichts für die spießigen Dursleys.
Richtig langatmig, findest du nicht auch?
"Illuminati" von Dan Brown:
Der Physiker Leonardo Vetra roch brennendes Fleisch, und es war sein eigenes. Er starrte voller Angst und Entsetzen zu der dunklen Gestalt hinauf, die drohend über ihm stand.
Dieser erste Satz wirft bei mir folgende Fragen auf:
- Was passiert mit Vetra?
- Warum brennt sein Fleisch?
- Wer ist die Gestalt und was will sie?
- Warum ist Vetra in dieser Situation?
Hätte Brown dieses Buch langatmig begonnen, könnte es in etwas so aussehen:
Der Physiker Leonardo Vetra saß in seinem sterilen Labor im Keller des CERN-Forschungszentrums in Genf. Er war ein hochgewachsener, schlanker Mann mit einem schütteren Haarschopf und einer randlosen Brille. Seine weiße Laborkleidung war makellos, bis auf den dunklen Fleck.
Vetra arbeitete seit Jahren an Teilchenbeschleunigern und der Erforschung der Dunklen Materie. Die kahlen Betonwände des Labors waren ihm so vertraut wie sein eigenes Wohnzimmer. Doch nun wünschte er sich sehnlichst, woanders zu sein.
Geht, aber ist definitiv nicht besser oder so auf den Punkt gebracht wie das Original.
"Der Marsianer" von Andy Weir:
Ich bin so was von im Arsch.
Bleiben wir wirklich nur beim ersten Satz, ist dieses Buch extrem, weil er so kurz ist. Trotzdem wirft er viele Fragen auf und weckt Neugier:
- Was ist passiert, dass er am Arsch ist?
- Wer bist du?
- Wo bist du?
- Schon auf dem Mars?
Machen wir jetzt noch mit weiteren Sätzen weiter, müssen wir das Buch fast lesen:
Ich bin so was von im Arsch.
Das ist meine wohlüberlegte Meinung.
Im Arsch.
Sechs Tage nach Beginn der vermeintlich großartigsten zwei Monate meines Lebens setzte der Albtraum ein.
Ich weiß nicht, wer dies hier überhaupt lesen wird. Vermutlich wird es irgendwann einmal jemand finden. Vielleicht in hundert Jahren.
Hier meine langatmige Version der Szene:
Die rote Marsoberfläche erstreckte sich endlos vor mir, nur unterbrochen von ein paar staubigen Felsen und Kratern. Als Astronaut der Ares 3-Mission hatte ich mich eigentlich auf ein aufregendes Abenteuer gefreut, den roten Planeten zu erforschen. Doch nun saß ich hier in meinem Raumanzug, der mich vor der lebensfeindlichen Atmosphäre schützte, und starrte auf den Bildschirm meines Laptops. Meine braunen Augen hinter der Raumfahrerbrille waren müde vom ständigen Starren auf den Monitor. Aber was sollte ich sonst tun? Ich seufzte tief und fuhr mir durch mein dunkelblondes, millimeterkurz geschorenes Haar. Dann tippte ich die Worte, von denen ich hoffte, dass sie irgendjemand in der fernen Zukunft lesen würde:
"Ich bin so was von im Arsch. Das ist meine wohlüberlegte Meinung. Im Arsch. Sechs Tage nach Beginn der vermeintlich großartigsten zwei Monate meines Lebens setzte der Albtraum ein. Ich weiß nicht, wer dies hier überhaupt lesen wird. Vermutlich wird es irgendwann einmal jemand finden. Vielleicht in hundert Jahren."
Erkennst du den Unterschied?
Genau das ist es, was ich meine, wenn ich davon spreche, langatmiges Vorgeplänkel zu vermeiden.
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Falls du es lieber analog magst, dann geh in die nächste Bücherei und schlag die Bücher auf. Lies die ersten Sätze und mach dir Gedanken darüber, warum sie gut sind – oder auch nicht.