5 Schreibtechniken, die so gut sind, dass sie eigentlich verboten gehören

Gian  - November 27, 2024

Als Autor stehen wir immer vor der Herausforderung, unsere Geschichten packend und lebendig zu gestalten. Wir suchen nach Wegen, unsere Leser zu fesseln und sie tief in unsere Geschichten eintauchen zu lassen.

In diesem Artikel stelle ich dir fünf außergewöhnlich effektive Schreibtechniken vor, die dein Schreiben auf ein völlig neues Level heben werden.

Diese Techniken sind so wirkungsvoll, dass sie eigentlich verboten gehören – aber zum Glück sind sie es nicht!

1. Gib deinen Charakteren etwas zu tun

Eine der häufigsten Fallen, in die Autoren tappen, ist es, ihre Figuren in einer statischen Umgebung interagieren zu lassen.

Ja, du kannst zwei Charaktere in einem leeren Raum ein Gespräch führen lassen – aber damit verschenkst du als Autor unglaublich viele Möglichkeiten.

Warum ist diese Technik so effektiv?

Wenn du deinen Charakteren während ihrer Interaktionen etwas zu tun gibst, schaffst du mehrere Vorteile gleichzeitig:

  1. Lebendige Atmosphäre: Die Umgebung wird automatisch Teil der Szene
  2. Natürliche Beschreibungen: Du kannst Sinneseindrücke organisch einbauen
  3. Charaktertiefe: Die Aktivitäten können die Persönlichkeit deiner Figuren unterstreichen
  4. Dynamik: Die Szene erhält einen natürlichen Fluss

Praktische Beispiele:

Statt eines einfachen Gesprächs im Büro:
Verlege das Gespräch in ein Restaurant. Plötzlich hast du die Möglichkeit, die anderen Gäste zu beschreiben, den Duft der Speisen einzufangen, das Klirren von Geschirr einzubauen. Deine Charaktere können während des Gesprächs essen, trinken, mit dem Kellner interagieren.

Statt eines Verhörs im Polizeirevier:
Lass deinen Ermittler den Verdächtigen auf einer Driving Range aufsuchen. Der Verdächtige schlägt Golfbälle, während er befragt wird. Seine Schläge können seine emotionale Verfassung widerspiegeln – werden sie aggressiver? Unkonzentrierter? Gleichzeitig vermittelst du durch die Location subtil seinen sozialen Status.

Statt eines Spaziergangs durch leere Straßen:
Platziere deine Charaktere in einer belebten Fußgängerzone. Sie müssen anderen Passanten ausweichen, werden von Straßenmusikern abgelenkt, riechen den Duft eines Hotdog-Stands. All diese Elemente können das Gespräch natürlich unterbrechen und gleichzeitig die Szene bereichern.

2. Gib dem Leser einen Wissensvorsprung

Diese Technik ist ein wahrer Spannungsturbo und funktioniert besonders gut, wenn du mit mehreren Erzählperspektiven arbeitest.

Das Prinzip ist einfach: Der Leser weiß mehr als die Charaktere.

So baust du Spannung auf:

  1. Zeige die Bedrohung: Lass den Leser die Gefahr sehen
  2. Wechsle die Perspektive: Gehe zur ahnungslosen Figur
  3. Nutze die dramatische Ironie: Der Unterschied zwischen Leserwissen und Charakterwissen erzeugt Spannung

Ein ausführliches Beispiel:

Szene 1 (Täter-Perspektive):

Der Mann schlüpfte durch das offene Kellerfenster. Seine Handschuhe hinterließen keine Spuren auf dem staubigen Glas. Im Haus war es still. Er kannte den Tagesablauf seiner Zielperson genau – noch zwei Stunden bis zu ihrer Rückkehr. Genug Zeit, um sich den perfekten Platz zu suchen.

Szene 2 (Opfer-Perspektive):

Sarah seufzte erleichtert, als sie endlich ihre Haustür aufschloss. Der Tag war lang gewesen. Sie kickte ihre hochhackigen Schuhe in die Ecke, warf die Schlüssel auf die Kommode und beschloss, sich ein entspannendes Bad einzulassen. Das Haus war still und vertraut wie immer.


Die Spannung entsteht durch:

  • Das Wissen des Lesers um die Gefahr
  • Die Ahnungslosigkeit des Opfers
  • Die alltäglichen Handlungen, die plötzlich bedrohlich wirken

3. Vermittle den Punkt mit einer Geschichte

Diese Technik ist besonders wertvoll für die Charakterentwicklung. Anstatt Eigenschaften oder Überzeugungen einfach zu benennen, verpackst du sie in eine prägende Erfahrung aus der Vergangenheit der Figur.

Die Vorteile:

  • Tiefere emotionale Bindung des Lesers
  • Bessere Merkbarkeit der Charaktereigenschaften
  • Glaubwürdigere Charaktermotivation

Ausführliches Beispiel:

Schwache Version:
"Thomas glaubte nicht an Anerkennung durch harte Arbeit."

Starke Version:

In der zweiten Klasse bekamen sie die Aufgabe, zu jedem Buchstaben des Alphabets ein Tier zu finden. Thomas verbrachte den ganzen Nachmittag damit, in Lexika zu blättern. Er wollte nicht nur ein Tier pro Buchstaben finden – nein, er suchte drei, vier, sogar fünf. Selbst für das schwierige 'X' fand er einen exotischen Fisch.

Am nächsten Tag hob der Lehrer Thomas' Blatt hoch. Thomas' Herz schlug schneller, er erwartete Lob für seinen Fleiß. Stattdessen sagte der Lehrer: "Dies ist ein Beispiel dafür, wie man es nicht macht. Thomas hat offensichtlich geschummelt. Niemand findet alleine so viele Tiere."

Die Ungerechtigkeit dieses Moments brannte sich in sein Gedächtnis. Von diesem Tag an schwor er sich: Niemand würde je wieder seine ehrliche Arbeit in Frage stellen – weil er sich nie wieder so anstrengen würde.


4. Jede Szene benötigt eine Daseinsberechtigung

Diese Technik hilft dir, deine Geschichte straff und spannend zu halten. Für jede Szene stellst du zwei zentrale Fragen:

  1. Was ist das konkrete Ziel dieser Szene?
  2. Welche Folge hat diese Szene?

Ausführliche Beispiel-Szenenkette:

Szene 1:

  • Ziel: John wird bei einem nächtlichen Überfall schwer verletzt
  • Folge: Bewusstlos und verletzt wird er ins Krankenhaus eingeliefert

Szene 2:

  • Ziel: John erwacht ohne Erinnerungen im Krankenhaus
  • Folge: Eine fremde Frau behauptet, seine Ehefrau zu sein

Szene 3:

  • Ziel: John kehrt mit der vermeintlichen Ehefrau in ein fremdes Zuhause zurück
  • Folge: Die Umgebung löst keine Erinnerungen aus, verstärkt seine Verwirrung

Szene 4:

  • Ziel: John trifft auf "seine" Kinder, die er nicht erkennt
  • Folge: Emotionaler Zusammenbruch, der in Aggression mündet

5. Charakterentwicklung entsteht durch Reaktion

Der letzte, aber vielleicht wichtigste Punkt: Lass deine Charaktere durch ihre Reaktionen lebendig werden.

Vermeide übermäßige Vorausplanung und lass sie stattdessen auf Situationen reagieren.

Beispiel einer Situation mit zwei verschiedenen Charakteren:

Ausgangssituation: Ein Obdachloser sitzt bei eisiger Kälte vor einem Bahnhof.

Susanne (empathische Mittvierzigerin):

Der Wind zerrte an seiner dünnen Jeansjacke, und Susanne spürte, wie sich ihr Herz zusammenzog. Sie kannte diesen Mann nicht, aber seine rot gefrorenen Hände erinnerten sie an ihren Vater, der jahrelang auf dem Bau gearbeitet hatte. Zögernd griff sie in ihre Handtasche. Der Fünf-Euro-Schein würde nicht viel ändern, aber vielleicht reichte es für einen heißen Kaffee. Als sie das Geld in seinen Becher gleiten ließ, murmelte sie: "Passen Sie auf sich auf." Die Worte fühlten sich unzureichend an, aber was konnte sie sonst tun?


Mike (gestresster Manager):

Schon wieder einer. Mike beschleunigte seine Schritte. Diese Leute vermehrten sich wie Unkraut vor dem Bahnhof. Er hatte sich seinen Erfolg hart erarbeitet, zwölf Stunden täglich, sieben Tage die Woche. Niemand hatte ihm etwas geschenkt. "Unfassbar", murmelte er und zog seinen Mantel enger. Kurz überlegte er, die Bahnhofssecurity zu rufen, aber er war schon spät dran für sein Meeting. Das würde jemand anders regeln müssen.


Durch diese unterschiedlichen Reaktionen lernen wir mehr über die Charaktere als durch jede direkte Beschreibung. Wir sehen ihre Werte, ihre Prägungen und ihre Art, die Welt zu betrachten.

Diese fünf Techniken sind mächtige Werkzeuge in deinem Autor-Arsenal. Sie helfen dir dabei, lebendige Charaktere zu erschaffen, packende Szenen zu schreiben und deine Leser von der ersten bis zur letzten Seite zu fesseln. Experimentiere mit ihnen, passe sie an deinen Stil an und finde heraus, wie sie deine Geschichten auf das nächste Level heben können.

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Über 

Gian

Es war schon immer mein Traum, Schriftsteller zu sein. Dabei ging es mir nie ums große Geld oder darum, berühmt zu werden. Mich faszinierte die Möglichkeit, mein Leben selbst in der Hand zu haben. Zu entscheiden, wann und wo ich arbeite. Selbstbestimmt zu sein. Ortsungebunden.
2019 habe ich mein erstes Buch bei Amazon veröffentlicht.
Seit April 2022 lebe ich vom Schreiben. Da das in der teuren Schweiz nicht möglich war, haben wir (meine Frau und ich) beschlossen, die Wohnung zu künden und auf unbestimmte Zeit in unseren Campingbus zu ziehen und durch Europa zu reisen.

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